Sexualität und Spiritualität
In der Spiritualität gibt es zwei große Ansichten über Sexualität. 1. Sexualität zieht unseren Geist von Gott ab und damit von unserer Beziehung zu Gott. Damit wird auch deutlich, warum ein katholischer Priester im Zölibat leben soll. Seine ganze Aufmerksamkeit soll unabgelenkt Gott gelten. 2. Sexualität ist Quelle der Spiritualität. Dies zeigt sich in der christlichen Mystik des Mittelalters, (im Hinduismus im Tantra). Damit verbunden ist die Ansicht, dass die Sehnsucht nach Ekstase die Sehnsucht nach Gott widerspiegelt.
Die Einswerdung in Gott wird in der Mystik in einer erotischen Sprache beschrieben. Wo Integration der Sexualität in die Gottesbeziehung möglich wird, wird auch eine spirituelle Sexualität erfahrbar. Laut Duden Fremdwörterbuch bedeutet Ekstase religiöse Verzückung, ein berauschender Zustand, der Kontrolle des normalen Bewusstseins entzogen. Die Sehnsucht nach Ekstase ist die Sehnsucht, ganz in Gott hinein zu fließen. Das bedeutet die Integration der Sexualität in die Gottesbeziehung, die Sexualität sublimiert auf eine höhere Ebene.
Transzendente Sexualität meint, dass gelebte Sexualität unsere Beziehung zu den Menschen und zu Gott intensiviert. Wie geht das? Damit ist nicht gemeint, dass Sexualität zum Religionsersatz wird, sondern, dass sie über sich selbst hinaus weist und sich auf Gott ausrichtet. Wer ständig um die Bedürfnisse der Sexualität kreist, überfordert die Sexualität und wird enttäuscht. Ein Beispiel einer solchen Überforderung finden wir in der Praxis der Paartherapie: In langjährigen Beziehungen kommt es oft vor, dass ein Partner häufiger Sex will als der andere. Das führt zu Frustrationen. Derjenige, der mehr Sex will, fühlt sich im Defizit und der andere permanent unter Druck. Es kommt zu einem Ungleichgewicht. Um aus diesen Missständen wieder heraus zu finden, braucht es oft Unterstützung von außen und den gemeinsamen Fokus auf die Liebe.
Wahre Sexualität richtet ihre Sehnsucht und ihr Augenmerk nicht auf die Sexualität, sondern darüber hinaus auf die Wirklichkeit. Nur so kann es zur wahren Erfüllung der Sehnsucht kommen. Lust im negativen Sinn beherrscht den Menschen, positiv gesehen dient sie als Antriebskraft zum Handeln, dem Drang sich zu verwirklichen. Thomas von Aquin sieht Lust als Gottesgeschenk an. Die körperliche Lust ist von Gott geschenkt um der Seele Genuss zu verschaffen und somit kann die Freude an Gott über die sexuelle Lust erfahren werden, da Körper und Seele eng miteinander verbunden sind. Wenn die Sexualität von Gott erschaffen ist, dann muss ich diese Schöpfung ehren und lieben. Ist die Lust also wirklich Teufelswerk? Teufelswerk kann sie nur sein, wenn sie den Menschen beherrscht. Da wo ich im Defizit bin, mich selbst nicht liebe, schaue ich gierig auf die äußeren Reize.
Das Gefühl der Einheit und der Glückseligkeit sind gleich zu setzen mit dem Gefühl der Ewigkeit. Das Gefühl der Ewigkeit weist über sich hinaus in eine religiöse, göttliche Dimension. Wer Lust mit allen Sinnen erlebt, erfährt Gottes Ewigkeit und nur Gott vermag unsere tiefe Sehnsucht nach Lust erfüllen. Eine Erfahrung, die den ganzen Leib und die Seele gleichermaßen durchdringt und in die Tiefen vordringt, lässt einen das Gefühl der Ewigkeit erfahren. Basis einer solchen Lust kann jedoch nur die Liebe sein, die auf die Einheit zielt!
Wenn wir diese Ewigkeit erfahren, dann ist es uns, als bliebe die Zeit stehen. Wir vergessen im wahrsten Sinn des Wortes die Zeit. Dort wo sich die Zeit aufhebt, fallen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen. Sprachlich wird uns dies in den Worten „Ich bin, der ich bin.“, deutlich, die Gott zu Moses spricht, als er ihn fragt, wer er sei. Mit dieser Aussage Gottes verweist Gott selbst auf diese seine Gegenwart in allen Zeiten. Im Hebräischen heißt dieser Satz: „Ich bin, der ich bin. Ich bin, der ich war. Ich bin, der ich sein werde. Ich war, der ich bin. Ich war, der ich sein werde.“, da es keine Zeitangaben im Hebräischen gibt. Diese Aussagen verweisen auf das Wesen Gottes. Er ist in allen Zeiten gegenwärtig. Und da, wo diese drei Zeiten zusammenfallen, da löst sich die Zeit auf. Da ist Ewigkeit, da ist Glückseligkeit, da ist kein Anfang und kein Ende. Da ist nur Gott. Gleichzeitig kann der Satz auch als „Ich bin da.“, übersetzt werden.
Gott, der Unfassbare, der Gegenwärtige, der Vergangene, der Beständige, der Zukünftige. Über das Wesen Gottes wissen wir wenig. Alleine seine Aussage: „Ich bin, der ich bin.“, vergegenwärtigt uns seine Zusage, immer da zu sein. Das Volk Israel blickt von jeher auf seine Vergangenheit und lernt daraus. Gottes Anwesenheit und die Erfahrungen, die in der Beziehung Gott-Mensch gemacht wurden, zeigen seinem Volk, wie verlässlich und treu dieser Gott ist und immer sein wird. Später wird dieser Gott in Jesus Christus greifbarer, deutlicher. Da heißt es im 1. Johannesbrief: „Gott ist die Liebe.“ Wo kann ich also Gott begegnen, wenn nicht in der Liebe? In der ganzheitlichen Liebe, in der Seele, Geist und Körper gleichermaßen berührt werden, dort treffe ich auf Gott, dort ist Liebe. Die sinnliche Ausübung, das Erfahren über die körperliche, erotische, zärtliche Liebe, spiegelt Gottes Gegenwart wider. Dort, wo die Zeiten zusammenfallen, dort ist Gott, dort ist die Liebe, die Glückseligkeit, da bleibt die Zeit für einen Moment stehen, hört die Zeit auf und beginnt die Ewigkeit.
Je sensibler der Körper und je reiner der Geist, desto größer die Lust. Die Lust an Gott wird größer, wenn sie auch im Körper erfahren wird. Lust beginnt im Geist und vollendet sich im Körper. Thomas von Aquin behauptete sogar, dass Jesus wohl größere Lust empfunden hat als wir. Freud wies darauf hin, dass das Ich stark wird, wenn seine Lust nicht sofort befriedigt wird. Verzicht möchte die Lust kultivieren und zu personaler Erfahrung machen.
Tantra, eine Bewegung des Hinduismus, sucht die Erfahrung der Einheit, die Überwindung der Dualität. Tantra kultiviert und verfeinert die Sexualität, frei von Gier, als ein Ausdruck von reiner Liebe. Im Christentum ist die Erfahrung der Einswerdung mit Gott in der Mystik des Mittelalters in eine erotische Sprache gefasst. Somit wurde und wird die spirituelle Dimension der Sexualität erotisch erfahren.
Wenn ich dem Menschen hart, gierig, süchtig, triebhaft, begegne und nicht den Menschen sehe, verletze ich ihn. Eine Sexualität, in die ich meine ganze Liebe, Zärtlichkeit, Achtsamkeit, Erfurcht vor der Schöpfung des anderen hineinlege und gleichzeitig für Gottes Liebe und Anwesenheit öffne, ist eine tiefere, transzendente, spirituelle, glückselige und erfüllendere Sexualität. Eine Sexualität, deren Wasser dürstende wirklich tränkt, deren Quelle niemals versiegt, eine solche Sexualität öffnet sich einer Liebe von größerer Dimension, einer großen Liebe, wie es in Joh 4, 1 – 26 beschrieben wird.
Wahre Hingabe kann nur bei dem geschehen, der wahre Hingabe an das Leben kennt, an die Liebe grundsätzlich. Ich gebe mich diesem einen, einzigartigen Menschen hin und werde Eins mit ihm und dem Universum und Gott. Somit wird Gott im sexuellen Akt Eins mit dem Universum durch den Menschen. Spirituelle Qualität eines sexuellen Aktes sind somit personale Nähe und emotionale Intimität. Eine ganzheitliche Form der Liebe von Körper, Geist, Seele und Herz und Emotionalität deuten auf diese spirituelle Qualität hin, in der Offenheit für Gott und Einswerdung in Gott stattfinden können.
Den Menschen in der tiefsten Tiefe seines Wesens und seiner Einmaligkeit zu erkennen, eröffnet gegenseitige Hingabe. Hingabe bedeutet nicht nur körperliche, sondern gerade seelische und geistige Nähe. Durch das Erkennen des Du erkenne ich mich selbst. Es ist das Erkennen der Einheit schlecht hin. Wenn ich mich ganz hingebe, mich ganz in die Liebe eines Menschen gebe, gebe ich mich in die Liebe Gottes hinein. M. Gerwing vergleicht die Trinität von Vater, Sohn und Heiliger Geist mit der Ich-Du-Wir-Erfahrung Martin Bubers. Somit würde der Gott Vater sich im Sohn erfahren und diese Einheit würde sich im Wirken des Heiligen Geistes widerspiegeln. Gott ist also Ewigkeit, Liebe, Trinität und Licht, da Jesus im Johannesevangelium von sich spricht: „Ich bin Licht vom Lichte.“
Liebe und Sexualität sind untrennbar in der Bibel. Einen Menschen so sehr zu lieben, bedeutet auch, die Sehnsucht mit ihm körperlich Eins zu werden. Diese körperliche Einheit setzt seelische, geistige Einheit voraus. Die Sehnsucht nach Ganzheit spiegelt sich in dem gr. Mythos der Kugelmenschen wider, demnach die Menschen früher aus vier Beinen, vier Armen, vier Augen und zwei Geschlechtern bestanden. Waren es Androgyne, bestanden sie aus einem männlichen und einem weiblichen Geschlecht. Waren es Männer, bestanden sie aus zwei männlichen Geschlechtern, waren es Frauen, bestanden sie aus zwei weiblichen Geschlechtern. Ihre übermenschlichen Kräfte und ihr Hochmut forderten die Götterwelt heraus, als wären sie selbst Götter. Dies erzürnte Zeus und er beschloss, sie zu entzweien. Die Menschen wurden in der Mitte geteilt und waren darüber sehr unglücklich. Fortan sehnte sich jeder Mensch nach seiner fehlenden Hälfte. Jeder suchte nach seiner Zwillingsseele. Die halben Männer begehrten die anderen halben Männer und die halben Frauen begehrten die anderen halben Frauen. Die Androgynen suchten jeweils ihre passende Hälfte. Die halbe männliche Seite suchte die weibliche Seite.
So erklärt sich die Sehnsucht nach homosexueller bzw. heterosexueller Liebe, aber auch die Irrungen und Wirrungen in der Liebe. Könnte das die wahre, einzigartige, große Liebe erklären? Nicht jeder hat die Chance, das passende Gegenstück zu finden, aber die Sehnsucht nach dieser Einheit lässt uns lieben. Und wir suchen und docken so lange an, bis wir das wirklich passende Gegenstück finden. Um wieviel glücklicher muss sich das anfühlen, wenn zwei sich finden, die wirklich zusammenpassen? Das ist pure Glückseligkeit, nicht mehr nur Sehnsucht, die man versucht zu stillen. Es ist ein Ankommen bei sich, ein Ankommen in der Einheit. Das Aufhören vom Suchen.
Die Einheit von Mann und Frau spiegelt die Schöpfungsgeschichte wider. Von ihrem Wesen her gehören beide zusammen. Beide sind von einem Fleisch und gehören folglich zusammen. Es gibt kein Getrenntsein, es ist die Aufhebung der Dualität. Somit wird die sexuelle Vereinigung zum Bild für die Einheit der Menschen mit Gott. Selbst wenn Mann und Frau sich oft als getrennt voneinander empfinden, so kann ihnen im Bild der Schöpfungsgeschichte (Gen 2, 23: Und der Mensch sprach: Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Männin soll sie heißen, denn vom Mann ist sie gekommen.) wieder deutlich werden, dass beide ein und denselben Schöpfer haben – sie kommen aus ein und demselben – beide sind aus Fleisch, also gleich. Es gibt also etwas Verbindendes. Dieses Bewusstsein kann zu einer tieferen Liebe führen, einer Liebe, die gleichzeitig oder folglich die körperliche Einheit sucht.
Die Sehnsucht nach Ganzheit wird oft kritisiert. Wenn ich mit mir alleine nicht ganz bin, bin ich abhängig. Ich kann mich nur ganz fühlen, wenn das passende Gegenstück gefunden ist, wie im Mythos der Kugelmenschen. Aber genau diese Sehnsucht nach dem abgetrennten Teil lässt mich lieben, sehnt sich nach sexueller Verschmelzung, Einswerdung, wo beide Körper wieder rund werden, eins, ganz. Wenn Leben gelingen soll, so muss es auf Gott ausgerichtet sein, der uns in Jesus geschenkt wird. Dann gebe ich mich ganz in die Liebe Gottes hinein, einer Liebe, die mich nicht abhängig macht, einer Liebe von unerschöpflicher Quelle, aus der ich trinken darf und dessen Wasser ich weitergeben kann. Joh 4, 1 – 26 berichtet von diesem Wasser: (4) Sein Weg führte ihn durch Samarien. (5) Er kam zu der samaritanischen Stadt Sychar, in der Nähe des Feldes, das Jakob seinem Sohn Josef gegeben hatte. (6) Dort befand sich der Jakobsbrunnen. Erschöpft von der langen Wanderung setzte Jesus sich um die Mittagszeit an den Brunnen. (7) Kurz darauf kam eine Samaritanerin, um Wasser zu schöpfen. Jesus sagte zu ihr: „Bitte, gib mir zu trinken.“ (8) Er war zu diesem Zeitpunkt allein, denn seine Jünger waren ins Dorf gegangen, um etwas zu essen zu kaufen. (9) Die Frau war überrascht, denn sonst wollen die Juden nichts mit den Samaritanern zu tun haben. Sie erwiderte: „Du bist ein Jude und ich bin eine Samaritanerin. Warum bittest du mich, dir zu trinken zu geben?“ (10) Jesus antwortete: „Wenn du wüsstest, welche Gabe Gott für dich bereithält und wer der ist, der zu dir sagt: ‚gib mir zu trinken’, dann wärst du diejenige, die ihn bittet, und er würde dir lebendiges Wasser geben.“ (11) „Aber Herr, du hast weder ein Seil noch einen Eimer“, entgegnete sie, „und dieser Brunnen ist sehr tief. Woher willst du denn dieses lebendige Wasser nehmen? (12) Bist du etwa größer als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen hinterließ? Wie kannst du besseres Wasser versprechen, als er und seine Söhne und sein Vieh hatten?“ (13) Jesus erwiderte: „Wenn die Menschen dieses Wasser getrunken haben, werden sie schon nach kurzer Zeit wieder durstig. (14) Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, der wird niemals mehr Durst haben. Das Wasser, das ich ihm gebe, wird in ihm zu einer nie versiegenden Quelle, die unaufhörlich bis ins ewige Leben fließt.“ (15) „Bitte, Herr“, sagte die Frau, „gib mir von diesem Wasser! Dann werde ich nie wieder durstig und brauche nicht mehr herzukommen, um Wasser zu schöpfen.“ (16) „Geh, rufe deinen Mann und komm mit ihm hierher“, sagte Jesus zu ihr. (17) „Ich habe keinen Mann“, entgegnete die Frau. Jesus sagte: „Das stimmt! Du hast keinen Mann. (18) Du hattest fünf Ehemänner, und mit dem Mann, mit dem du jetzt zusammenlebst, bist du nicht verheiratet. Das hast du richtig gesagt.“ (19) „Herr“, sagte die Frau, „ich sehe, dass du ein Prophet bist. (20) Sage mir doch, warum ihr Juden darauf besteht, dass Jerusalem der einzige Ort ist, um Gott anzubeten. Wir Samaritaner dagegen behaupten, dass es dieser Berg hier ist, wo unsere Vorfahren gebetet haben?“ (21) Jesus erwiderte: „Glaube mir, es kommt die Zeit, in der es keine Rolle mehr spielt, ob ihr den Vater hier oder in Jerusalem anbetet. (22) Ihr Samaritaner wisst wenig über den, den ihr anbetet – wir Juden dagegen kennen ihn, denn die Erlösung kommt durch die Juden. (23) Aber die Zeit kommt, ja sie ist schon da, in der die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten. Der Vater sucht Menschen, die ihn so anbeten. (24) Denn Gott ist Geist; deshalb müssen die, die ihn anbeten wollen, ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ (25) Die Frau sagte: „Ich weiß, dass der Messias kommen wird – der, den man den Christus nennt. Wenn er kommt, wird er uns alle diese Dinge erklären.“ (26) Da sagte Jesus zu ihr: „Ich bin es, der mit dir spricht!“
Jesus nimmt die Menschen an wie sie sind, ohne Vorurteile, eröffnet Weite und innere Freiheit. Die Begegnung mit Jesus ist immer eine Begegnung mit der eigenen Wahrheit. Jesus blickt, gleichsam eines Propheten, tief ins Herz und bringt die Wahrheit ans Licht. So hält er auch der Samariterin am Brunnen den Spiegel vor und lässt sie erkennen, dass die unendliche Sehnsucht nach Liebe und Sexualität, nach bedingungsloser Liebe durch den Menschen, den eigenen begrenzten Partner, nicht gestillt werden kann. Da muss schon etwas Größeres dahinterstehen, eine größere Dimension. Die Zahl der sechs Männer verweist auf den 7. Mann, auf Jesus. Sieben ist die Zahl der Fülle, der Vollkommenheit, der Ernte. In Jesus finden wir die Erfüllung unserer Sehnsucht. Hier wird der Durst nach endloser, beglückender Liebe gestillt, für immer.
Joh 4, 14 spricht von diesem lebendigen Wasser: „Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, der wird niemals mehr Durst haben. Das Wasser, das ich ihm gebe, wird in ihm zu einer nie versiegenden Quelle, die unaufhörlich bis ins ewige Leben fließt.“. Es verschafft endgültige Befriedigung und der Durst nach Leben ist gestillt. Ewiges Leben schenkt Kraft. Es ergreift das ganze menschliche Dasein über den Tod hinaus. Es ist richtungsweisend und sinnstiftend. Die Wirklichkeit des Lebens ist die Liebe. Lebendiges Wasser befreit von Lasten des irdischen Daseins. Wasser selbst stillt den Durst nur für eine begrenzte Zeit.
Der Brunnen ist im Alten Testament der Ort der Brautwerbung (vgl.: Genesis 24). Jesus wird von der Samariterin am Brunnen abgewiesen. Vorurteile verhindern wirkliche Beziehungen. Zu einer wirklichen Beziehung ist die Frau nicht fähig, aber wie kommt dann das Verlangen zur Ruhe? Wie wird unser Durst nach Leben, nach Einswerdung, nach Liebe gestillt? Indem ich Gott erkenne. Die Frau am Brunnen ist zu dieser Erkenntnis noch nicht fähig. Gott, im Wasser symbolisiert und in Jesus sichtbar, ist Leben. Zur Liebe unfähig, leidet die Samariterin, doch die Begegnung mit Jesus setzt eine Lebenskraft in Gang, die unendlich Wert verleiht, Liebe freisetzt. Ich bin die Antwort auf Gott. Das tiefste Verlangen in mir wird dann erfüllt, wenn ich mich mit meiner Liebesunfähigkeit konfrontiere. Erst, wenn ich mich angenommen fühle, voll und ganz geliebt weiß, entwickle ich diese Liebesfähigkeit. Die Wahrheit ist, dass sie von der Liebe immer wieder enttäuscht wurde. Das wird so lange bleiben, bis ihr klar wird, dass nur der Messias sie erlösen kann und von allen Fesseln befreien. Es ist die Gottesliebe, die uns begegnet.
In Joh 15, 1 – 17 spricht Jesus über das Bild des Weinstockes, die Einswerdung mit seinen Jüngern und die Verbundenheit Gottes zu Jesus und den Menschen. Jesus erzählt in Joh 15, 5 das Gleichnis vom Weinstock. Wer von Jesus getrennt ist, wird keine Frucht bringen. Ein Leben auf Gott, auf Jesus bezogen gelebt, bringt reiche Frucht. Anselm Grün sieht in den Worten „Bleibt in mir, wohnt in mir…“ eine erotische Sprache und die damit verbundene sexuelle Einheit. Es vollzieht sich, was seelisch und geistig in der Einheit der Liebe bereits vollzogen ist.
In Joh 15, 4 – 5 heißt es da: „Bleibt in mir und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich keine Frucht zu bringen vermag, wenn sie nicht im Weinstock bleibt, so auch ihr, wenn ihr nicht in mir bleibt. (5) Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“
Der Text verweist auf die enge Verbindung, das gegenseitige Angewiesensein, die fruchtbringende Gemeinschaft. Jesus ist der Inbegriff des Lebens, der Liebe. Er ermöglicht ein Leben in Glaube und Liebe. Die Ich-bin-Worte zeigen die Verbindung Jesu zu seinen Jüngern. Der Weinstock ist alles, die Rebe sind die Zweige. Jesus ist der Weinstock, ist alles, die Jünger sind die Zweige. Dieser gegenseitige Bezug stellt das Heil seiner Verbindung in den Vordergrund. Nur mit Jesus ist dies erfahrbar und lebbar. Die Liebe Gottes zu Jesus ist dieselbe wie die Liebe Jesu zu seinen Jüngern, zu uns. Seine Liebe zu mir ist dieselbe Liebe wie meine Liebe zu meinem Partner, meiner Partnerin. Folglich ist auch diese Liebe heilend. Ohne diese Liebe kann kein Leben gelingen. Ohne diese Liebe können wir keine Frucht bringen und ohne diese Liebe können wir nicht existieren. Zugleich sind wir die Frucht der Rebe. Wir sind der ganze Stolz der Pflanze. Es ist ein gegenseitiges Verhältnis, eine gegenseitige Liebe.
Die bleibende Liebe Gottes für Jesus ist die gleiche Liebe, die Jesus seinen Jüngern gewährt. Diese Liebe ist heilend. Die Frucht der Rebe, des Weinstocks, ist die Liebe. Liebe ist der Ausdruck der Einheit zwischen Jesus und den Jüngern. Liebe ist die Frucht eines Lebens mit Jesus und Gott.
Der Exeget Hans J. Klauck sieht den Leib als wichtigen Ort der Gotteserfahrung und gleichzeitig etwas zutiefst Menschliches. Unser Körper ist Ausdruck unserer ganzen Person, eingeschlossen unserer Sexualität und somit auch Ausdruck unserer Spiritualität. Mit unserem Körper erfahren wir uns als Mensch, als fleischliches Wesen, erschaffen durch Gott. Durch Abgrenzung, Trennung von Gott, werde ich zum Individuum. Die Trennung ist geradezu notwendig, um mich als Teil von Gott zu begreifen. Nur so kann es zu einer echten Ich-Du-Beziehung, Mensch-Gott-Beziehung, kommen.
Der Hauptschmerz der Menschen ist ein Trennungsschmerz. Sich getrennt fühlen, sich einsam fühlen, lässt uns (wieder) nach der Einheit suchen. Die Sehnsucht nach Heimat birgt auch das gleichzeitige Wissen darum. Heimat ist dort, wo mein Herz zuhause ist. Dort wo ich liebe und geliebt werde, fühle ich mich zuhause, geborgen und ganz. Dort erfahre ich Einheit auf allen Ebenen (körperlich, seelisch, psychisch, geistig, sexuell, göttlich).
Gottes Liebe ist unendlich. Wer in der sexuellen Vereinigung die Trennung überwindet und die Ganzheit erfährt, erfährt etwas zutiefst Religiöses. Liebe, Erotik und Sexualität sind Wege zur unendlichen Liebe Gottes. Wer fähig ist sein Ego zu überwinden und gemeinsam mit einem Du in die Einheit findet, erfährt diese unendliche Liebe.
In der Vergangenheit des Christentums wurden erotische Anziehung und sexuelles Verlangen als tierisch, minderwertig und als zu verdrängende Gefühle gelesen. Auch im Neuen Testament wird vor der sexuellen Begierde gewarnt, z. B. in den späten Briefen des Paulus. Da heißt es in Römer 6, 12: Darum soll die Sünde nicht mehr in eurem Leib herrschen, dass ihr seinen Begierden gehorcht, … Wie aber hat Jesus Sexualität verstanden?
Der Eros braucht die Sinnlichkeit der Liebe. Dort, wo die Frau in ihrer Eigenart und Würde gesehen wird, wo sie als Frau wahrgenommen wird, ihr Raum eingeräumt wird, wo sie in die Mitte gestellt und ihr innere und äußere Aufmerksamkeit geschenkt wird, dort wird sie gesehen, dort kann wahre Begegnung stattfinden. Hier finden Begegnungsgeschichten mit Jesus statt. Hier ist Liebe und Eros.
Die Verschlossenheit des Menschen und das Gefangensein in der sexuellen Begierde, sowie das Unterdrücken der Sexualität, vergiften den Körper und machen ihn krank. Aus dem Suchen nach Glück und Erfüllung wird Sucht. In Wahrheit ist der Eros die Brücke zum Leben. Jesus weiß darum und versucht die reine, selbstlose Liebe mit der erotischen Liebe und Anziehung zu verbinden.